Lange Zeit ging man davon aus, dass „denken“ etwas Universelles ist, das jeder Mensch beherrscht. Die einen haben vielleicht mehr Fachwissen als andere, aber grundlegend denken doch alle gleich.
Inzwischen gibt es Anzeichen, dass so nicht ganz stimmt: Unsere Sprache hat einen großen Einfluss auf die Art und Weise, wie wir denken. Sprache und Denken sind untrennbar verbunden.
Was das für dich bedeutet? Einiges – z. B., dass Fremdsprachen dir helfen können, dein ganzes Denken fundamental zu ändern. Oder auch die Erkenntnis, dass deine Mitmenschen durch ihre Sprache ganz grundsätzlich anders denken als du. Und nicht zuletzt zeigt es, wie viel Einfluss Worte auf dein Leben haben.
Sprache und Denken ermöglichen Orientierung
Ein bekanntes Beispiel dafür, dass Sprache und Denken verbunden sind, ist die Siedlung Pormpuraaw der Aborigines auf Cape York. In ihrer Sprache gibt es keine relativen Ausdrücke für Richtungen im Raum wie „links“ oder „rechts“, sondern nur absolute Richtungsangaben wie „Norden“ und „Westen“. Man sagt nicht „Ich stehe links von meiner Mutter“, sondern „Ich stehe südöstlich von meiner Mutter.“
Und wie verändert dies das Denken? Bereits fünfjährige Kinder dieser Siedlung können, ohne zu zögern, anzeigen, wo Norden ist. Da sie im Geist ständig die Himmelsrichtungen in ihre Sprache einbeziehen, ist es vollkommen natürlich für sie zu wissen, wo Norden ist.
Sprache und Denken beeinflussen die Wahrnehmung
Noch deutlicher wird der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken durch ein Experiment, wie sehr die Sprache die Wahrnehmung von Personen beeinflusst. Dazu wurden Menschen, die Englisch, Spanisch oder Japanisch sprechen, Videos gezeigt, in denen Männer absichtlich oder unabsichtlich Dinge wie Eier oder Wassergläser kaputt stießen.
Bei der Beschreibung der absichtlichen Zerstörung ähnelten sich die Aussagen und die Detailtiefe der Erinnerungen. Ging es allerdings darum, die Missgeschicke zu beschreiben, waren die Spanisch und Japanisch sprechenden Menschen weniger bereit, die Unfälle aktiv wie „Er zerstach den Ballon“ zu beschreiben. Und insbesondere erinnerten sie sich weniger genau an den Inhalt der Videos.
Sprache und Denken legen den Fokus
Je nachdem, wie eine Sprache funktioniert, legt sie einen ganz unterschiedlichen Fokus. Einige Sprachen haben keine Zahlwörter, während andere sehr exakt die Zeit von Ereignissen festlegen. In manchen Sprachen gibt es unterschiedliche Bezeichnungen für Verwandte mütterlicher- oder väterlicherseits, während man selbst als Frau andere Verben nutzt als ein Mann es tun würde.
Ein anderes Beispiel ist das Wort „Brücke“: Im Deutschen die Brücke weiblich, im Spanischen männlich. Im Deutschen werden deshalb eher weiblich konotierte Begriffe für eine Beschreibung verwendet, also etwa „elegant“ oder „schön“. Im Spanischen sind es hingegen eher männlich verstandene Worte wie „groß“ oder „gewaltig“.
Sprache bestimmt auch, mit welchen Erwartungen wir durch die Welt gehen. Lies dir dazu diese kurze Geschichte durch:
Ein Vater fährt mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglücken. Der Vater stirbt an der Unfallstelle. Der Sohn wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und muss operiert werden. Ein Koryphäe der Chirurgie wird gerufen, eilt in den OP, tritt an den Operationstisch heran, auf dem der Junge liegt, wird kreidebleich und sagt: „Ich bin nicht im Stande, zu operieren. Dies ist mein Sohn.
Hast du gestutzt? Und woran hast du zuerst gedacht: Dass der Junge zwei Väter hat, oder dass seine Mutter die Chirurgin war, die ihn nicht operieren konnte?
Die deutsche Sprache prägt darauf, dass wir bei dem Begriff „Arzt“ zuerst einmal an einen Mann denken. Deshalb bringt uns diese kurze Geschichte so leicht aus dem Konzept.
Und was bedeutet das für dich?
Wenn du weißt, wie groß der Einfluss der Sprache auf dein Denken ist, kannst du dies aktiv nutzen. Lerne Fremdsprachen, um deinen eigenen Horizont zu erweitern. Im Umgang mit Menschen mit anderen Muttersprachen kann es dir helfen, Verständnisprobleme abzubauen.
Aber insbesondere bedeutet dies auch, dass Fachwissen anzuhäufen nicht die einzige Möglichkeit ist, sich zu entwickeln. Statt ein Buch nach dem anderen zu verschlingen, um neue Gedanken zu denken, solltest du vielleicht ein bekanntes Buch in einer anderen Sprache lesen. Die Erkenntnis, dass andere Menschen aufgrund ihrer Muttersprache ein ganz anderes Verständnis von der Welt haben, kann es dir darüber hinaus leichter machen, Missverständnisse zu verstehen.
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